Investieren, investieren, investieren
Es ist höchste Zeit für einen Kurswechsel in der deutschen Wirtschaftspolitik, fordern drei Ökonomen in einem Gastbeitrag für die SZ. Der Staat müsse viel Geld in die Hand nehmen.
Die deutsche Wirtschaft befindet sich wohl schon in einer Rezession. Denn die Weltwirtschaft, von der Deutschland als Exportland so abhängig ist, schwächelt bedenklich: Nachdem die Steuersenkungen von Trump verpufft sind und die chinesische Wirtschaft nicht mehr so stark wächst wie in der Vergangenheit, verunsichern internationale Konflikte wie der Handelsstreit zwischen Washington und Peking sowie der Brexit die Unternehmen. Dies ist erst mal kein Grund zur Panik, denn die deutsche Wirtschaft ist strukturell stark und hat das Potenzial für weitere wirtschaftlich gute Jahre. Allerdings braucht Deutschland hierfür einen Kurswechsel der Wirtschaftspolitik - mit einem langfristig angelegten Investitionsprogramm des Staates.
Dem zunehmend unsicheren Umfeld konnte die deutsche Wirtschaft bislang trotzen. Da ist das Arbeitsmarktwunder der vergangenen zehn Jahre, das zur höchsten jemals in Deutschland verzeichneten Zahl an Erwerbstätigen geführt hat. Statt Arbeitslosigkeit gibt es zunehmend Fachkräftemangel, mit mehr als einer Million offener Stellen. Diese Entwicklung stützt sich maßgeblich auf die deutschen Exportunternehmen, die äußerst wettbewerbsfähig und profitabel sind. Ergebnis der positiven Entwicklung der letzten Jahre ist die äußerst erfreuliche finanzielle Situation des Staates, mit Überschüssen von in diesem Jahr rund 40 Milliarden Euro.
Doch es gibt drei zentrale Schwächen, die einer erfolgreichen Zukunft Deutschlands entgegenstehen. Erstens gibt es einen zunehmenden Fachkräftemangel - die Generation der Babyboomer geht nach und nach in Rente. Umso existenzieller ist nun eine exzellent ausgebildete Arbeitsbevölkerung, aus Deutschen und Zugewanderten. Zweitens bekommen deutsche Firmen zunehmend aggressive Konkurrenz aus Asien, insbesondere in den wichtigen Zukunftssektoren wie künstlicher Intelligenz oder digitalen Dienstleistungen. Die deutschen Un-ternehmen haben zwar hohe Ersparnisse - sie halten sich mit Investitionen aber deutlich zurück. Mehr Mut, in die Zukunft zu investieren, ist daher nötig, um die Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen zu erhalten. Und drittens hat der Staat zwar solide gewirtschaftet, aber leider auf Kosten der öffentlichen Investitionen. Die digitale Infrastruktur Deutschlands rangiert unter ferner liefen, öffentliche Planungskapazitäten sind ausgeblutet, über den Zustand der Deutschen Bahn ist alles gesagt.
Euphemistisch ausgedrückt: In der deutschen Wirtschaft gibt es große Potenziale, die es zu heben gilt - in einer Zeit, in der sich der deutsche Staat zu negativen Zinsen verschulden kann und die konjunkturelle Schwäche in Deutschland und Europa mehr als eine geldpolitische Antwort benötigt. Dies ist genau die Situation, in der ein stabilisierender, finanzpolitischer Impuls des Staates mit einer langfristigen Investitionsagenda verknüpft werden sollte. Ein solches Programm bestünde aus drei Teilen.
Erstens sollte die Bundesregierung die öffentlichen Investitionen nicht nur für ein oder zwei, sondern für 10 oder 15 Jahre um ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts oder 30 Milliarden Euro pro Jahr erhöhen, am besten durch eine langfristige politische Vereinbarung mit den Oppositionsparteien. Nicht abgerufene Gelder sollten in einen Investitionsfonds überführt werden. Ein solch langfristig angelegtes Programm würde auch die Sorge des Bundesfinanzministers aufgreifen, zusätzliche staatliche Investitionen führten wegen fehlender Kapazitäten lediglich zu höheren Preisen. Denn eine langfristige Perspektive würde die Wirtschaft, auch die Bauwirt-schaft, dazu bewegen, ihrerseits Kapazitäten auszubauen.
Die Schuldenbremse, die zunehmend zur Investitionsbremse zu werden droht, sollte abgeschafft oder zumindest reformiert werden. Aber es ist auch möglich, staatliche Institutionen mit Kapital für Investitionen auszustatten, ohne die Schuldenbremse zu verletzen - so wie es kürzlich mit den mehr als 25 Milliarden Euro für die Deutsche Bahn gemacht wurde. Manche Kritiker wehren sich gegen eine solche Umgehung der Schuldenbremse. Diese Kritik zeigt jedoch ihren Irrsinn, da sie nur auf die Staatsausgaben fokussiert ist und die öffentlichen Vermögen ignoriert.
Konkret sollten diese Mittel genutzt werden, um den Investitionsstau auf kommunaler Ebene zu lösen und die Herausforderungen für die Zukunftsfähigkeit des Standorts Deutschland anzugehen - neben der Energiewende, Forschung und Entwicklung, der Digitalisierung oder der Mobilität sind dies auch soziale Herausforderungen wie der Wohnungsbau. Schätzungen zeigen, dass erhebliche zusätzliche Investitionen benötigt werden, um die Wohnungsbaukrise, eines der zentralen Themen unserer Zeit, zu bewältigen: Konkret geht es um Summen von rund 15 Milliarden Euro jährlich für die kommenden zehn Jahre. Vieles spricht dafür, diesen Bedarf auch aus öffentlichen Mitteln zu finanzieren, da vor allem bezahlbarer Wohnraum fehlt. Aus dessen Errichtung hat sich die öffentliche Hand nahezu komplett zurückgezogen - schlimmer noch: vielfach wurden Wohnungsbestände privatisiert.
Ein zweites Element sollte die Förderung privater Investitionen sein. Öffentliche Investitionen ziehen private oft nach sich, daher sind öffentliche Investitionen gleichzeitig eine Förderung privater. Zur Förderung privater Investitionen gehören aber auch eine schnellere Abschreibung von Investitionsausgaben sowie steuerliche Anreize für Innovationen, vor allem um die große Schwäche im Bereich des Wissenskapitals zu beheben, bei dem nach einer neuen Studie des DIW Berlin jedes Jahr 35 Milliarden Euro fehlen.
Das dritte Element ist eine Entschuldung der Kommunen, die mehr als die Hälfte aller öffentlichen Investitionen tätigen, allerdings laut der Förderbank KfW nicht getätigte Investitionen von 140 Milliarden Euro vor sich herschieben. Ein Drittel aller Kommunen ist überschuldet und kann wichtige Investitionen überhaupt nicht tätigen. Es sind oft die gleichen Kommunen, die unter hohen Sozialausgaben leiden, von denen sie entlastet werden müssen. Auch die Kommission für gleichwertige Lebensbedingungen hat kürzlich eine Entschuldung der Kommunen gefordert.
Die Zeit für einen wirtschaftspolitischen Kurswechsel war selten dringender. Ein langfristig angelegtes Investitionsprogramm würde nicht nur kurzfristig Arbeitsplätze sichern und die Wirtschaft stabilisieren. Es würde auch das Potenzial der deutschen Wirtschaft stärken und letztlich die Wettbewerbsfähigkeit und den Wirtschaftsstandort Deutschland sichern helfen.
Marcel Fratzscher ist Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) und Professor für Makroökonomie an der Humboldt Universität zu Berlin. Claus Michelsen ist Leiter der Abteilung Konjunkturpolitik am DIW Berlin. Christian Odendahl ist Chefökonom am Centre for European Reform (CER), einem unabhängigen Think tank mit Sitz in London.