Die EU stark machen
Großbritannien spart 350 Millionen Pfund wöchentlich durch den EU-Austritt? Dieser Traum der "Leave"-Kampagne ist aus. Im Gegenteil, sagt Christian Odendahl, Chefökonom des proeuropäischen Thinktanks Centre for European Reform (CER). Der Brexit werde für die Briten extrem teuer. 250 Millionen Pfund pro Woche, errechneten Odendahl und seine CER-Kollegen, könnten den Briten durch den EU-Austritt künftig verloren gehen. Und anstatt wirtschaftspolitisch unabhängiger zu werden, werde das Vereinigte Königreich an Souveränität und Einfluss in der Welt verlieren. In seinem Vortrag bei den Münchner Seminaren von Ifo-Institut und Süddeutscher Zeitung nutzt Odendahl die Briten als Beispiel, um zu zeigen, was passieren könne, wenn sich Staaten von internationalen Institutionen entkoppelten.
Der Ökonom wirbt für eine engere wirtschaftspolitische Zusammenarbeit zwischen den verbleibenden EU-Mitgliedsstaaten. So sollten die EU-27 gerade ihre Fiskalpolitik künftig aufeinander abstimmen, also beispielsweise Konjunkturprogramme koordinieren. Der Streit in Handelsfragen und ein fehlendes gemeinsames, ausreichend großes Budget schadeten dem Zusammenhalt, und das schwäche die Souveränität der EU auf internationaler Ebene. Odendahl ist der Ansicht, die EU solle den Euro ähnlich dem Dollar zu einer Leit- und Reservewährung aufbauen. Davon sei man weit entfernt: Der Kapitalmarkt in Europa sei derzeit nur halb so groß wie der in den USA. "Ich kann es verstehen, dass man als philippinischer Mittelständler sein Erspartes nicht auf das Fortbestehen der Euro-Zone setzen will", sagt Odendahl. Weil der Dollar im Unterschied zum Euro eine entscheidende Rolle spiele, sei die EU außerdem "machtlos" im Handelsstreit mit den USA.
Für eine gemeinsame Fiskalpolitik spreche außerdem, dass sich Konjunkturpakte einzelner EU-Staaten sowieso auf die umliegenden Staaten durchschlagen würden. Daher sei es sinnvoller, gleich direkt zusammenzuarbeiten. Eine gemeinsame Fiskalpolitik könne die Wirtschaft innerhalb der EU langfristig entscheidend stärken und unabhängiger machen von dem, was in China und den USA passiere. Falls der Euro zur Reservewährung würde, würde er allerdings auch stärker werden, was den Export erschweren könne, räumt der Ökonom ein. Aber Odendahl würde ohnehin stärker auf den EU-Binnenmarkt setzen - Europa dürfe nach der langen Phase einer "unterbewerteten Währung" nicht länger den Fehler machen, zu sehr auf das Exportgeschäft fixiert zu sein, gerade angesichts internationaler Handelskonflikte. Odenthal hat übrigens sieben Jahre in London gelebt. Nach dem Brexit-Referendum ist er nach Berlin gezogen.