Der Schlüssel für Macrons Erfolg liegt auch bei der EZB
Die Erleichterung in Europa war groß, als Emmanuel Macron die Präsidentschaftswahlen in Frankreich so deutlich gewinnen konnte, und auch bei den am kommenden Sonntag beginnenden Parlamentswahlen könnte seine En Marche-Partei ein starkes Ergebnis erzielen.
Vor dem neuen französischen Präsidenten liegen zwei große Herausforderungen: Er will Frankreich reformieren, um die hohe Arbeitslosigkeit abzubauen. Und er will, zusammen mit Deutschland, die Eurozone reformieren, um sie ökonomisch stabil und politisch nachhaltig zu machen.
Beide Herausforderungen sind miteinander verbunden. Ohne eine prosperierende Eurozone dürfte die Arbeitslosigkeit in Frankreich kaum schnell genug sinken, um Macron in eine weitere Amtszeit zu tragen: Frankreich hat keine eigene Währung, die abwerten könnte; es gibt wenn überhaupt nur sehr geringen fiskalischen Spielraum, um die Wirtschaft zu stimulieren, der zudem politisch noch beschränkt wird; und obwohl gut gemachte und gezielte angebotsseitige Reformen Wachstum und Beschäftigung auch kurzfristig steigern können, dürften ihre Effekte im Falle Frankreichs kurzfristig begrenzt sein, weil die französische Wirtschaft eben auch an einem Nachfragemangel leidet.
Die Rolle Deutschlands
Viele internationale Beobachter glauben, dass Deutschland Macron zum Erfolg verhelfen kann und sollte. Und innerhalb der deutschen Regierung, insbesondere auf SPD-Seite, gibt es durchaus den Willen, Frankreich entgegen zu kommen. Fakt ist aber: Die SPD hat die makroökonomische Debatte in Deutschland schon vor langer Zeit verloren, und wird sie jetzt nicht drehen können. Inzwischen positionieren sich die Sozialdemokraten in europäischen Fragen eher an der Seite von Angela Merkel. Martin Schulz hat Macrons Ideen zwar offen unterstützt. Aber die SPD wird kein politisches Kapital dafür riskieren, um irgendwas zu befürworten, was auch nur im Entferntesten nach „Eurobonds“ oder permanenten Transferzahlungen an andere Eurostaaten riecht.
Man sollte sich nichts vormachen: die deutsche Ursachenanalyse unterscheidet sich deutlich von der Macrons, und wird es auch nach der Bundestagswahl weiterhin tun. Zwar teilt der französische Präsident die deutsche Sichtweise, nach der sich die Euro-Mitgliedsstaaten auf nationaler Ebene reformieren müssen, um in der Währungsunion prosperieren zu können. Aber Macron argumentiert auch, dass die Eurozone ein gemeinsames Budget und einen gemeinsamen Finanzminister für eine koordinierte Fiskalpolitik der Mitgliedsstaaten braucht.
Zudem teilt Macron die international gängige Sichtweise, dass sich die deutsche Volkswirtschaft in einem ungesunden Ungleichgewicht befindet, das sich in hohen Leistungsbilanzüberschüssen und schwacher heimischer Nachfrage ausdrückt. Daher solle Deutschland die heimische Nachfrage durch Investitionen ankurbeln und so den Rest der Eurozone mitziehen.
In Deutschland sieht man das bekanntlich anders und scheut auch vor Panikmache nicht zurück. Macron war noch nicht vereidigt, da machten Teile des politischen Spektrums und der (Medien-)Öffentlichkeit in Deutschland bereits gegen die vermeintlichen Pläne des Wahlsiegers mobil, gegen Eurobonds und die Kosten, die nun wegen Macron angeblich auf Deutschland zukämen.
Dann sorgte Wolfgang Schäuble kurz für Aufsehen, als er einräumte, dass die deutschen Leistungsbilanzüberschüsse „zu hoch“ seien. Diese Äußerung sollte man jedoch nicht dahingehend interpretieren, dass der deutsche Finanzminister nun politische Maßnahmen ergreifen wird, um dies zu ändern. Denn Schäuble sagte auch, dass die Überschüsse auf die „hohe Wettbewerbsfähigkeit“ der deutschen Wirtschaft und den für Deutschland zu niedrigen Euro-Wechselkurs, sprich die EZB, zurückzuführen seien.
Übersetzt heißt das: Wir sehen das Problem auch, aber wir können sinnvollerweise kaum etwas dagegen unternehmen. Mit dieser Haltung ist Schäuble in Deutschland keinesfalls allein. Sogar der deutsche Sachverständigenrat sieht in einer ausgeglichenen Leistungsbilanz keine Zielvariable der Politik — obwohl genau das (aus gutem Grund) im Stabilitäts- und Wachstumsgesetz steht. Die Wirtschaftsweisen fordern lediglich Strukturreformen in Deutschland um Investitionen anzukurbeln, was empirisch zumindest zweifelhaft ist.
Die drei Hauptprobleme der Eurozone
Deutschland könnte in der Tat Macron und der Eurozone helfen. Martin Wolf hat in der Financial Times kürzlich zu Recht geschrieben, dass die Eurozone maßgeblich unter drei Problemen leidet: zu wenig Risikoteilung bzw. -streuung, zum Beispiel durch diversifizierte private Portfolios sowie gemeinsamen Schutz von Bankeinlagen, damit sich ökonomische Schocks über die ganze Eurozone verteilen und nicht konzentriert in einem Land wirken; zu wenig aktivistische Makropolitik, wie eine aggressive Geldpolitik der EZB und anti-zyklische Fiskalpolitik, sowohl auf nationaler als auch europäischer Ebene; und eine asymmetrische interne Anpassung, was bedeutet, dass die relative Lohn- und Preisanpassung den Defizit- bzw. Krisenländern aufgebürdet wird.
Bei allen drei Problemen spielt die deutsche Bundesregierung eine entscheidende Rolle. Bei der Risikostreuung ist nicht Deutschland allein der Bremser, hier besteht noch am ehesten die Chance, dass es mit Macrons Zutun zu einem größeren Deal kommen könnte, der sowohl bei Banken als auch an Kapitalmärkten zu mehr Integration und damit privater Risikobeteiligung sorgt. Bei der europäischen Einlagensicherung wird Deutschland allerdings hart bleiben bzw. sie stark verwässern.
Bei der aktivistischen Fiskalpolitik ist Deutschland einer der Hauptbremser. Auf nationaler Ebene hat sich Europa auf deutschen Druck pro-zyklische Fiskalregeln gegeben, auch wenn sie politisch nicht immer durchgesetzt werden. Zudem kämpft Deutschland dagegen, dass die Ausrichtung der Gesamtfiskalpolitik der Eurozone überhaupt ein politisches Kriterium wird. Dabei wäre eine expansivere Fiskalpolitik angesichts von Nullzinsen und Anleihenkäufen der EZB durchaus gerechtfertigt. Hier wird Deutschland allenfalls kosmetische Änderungen zulassen, wie z. B. einen gemeinsamen Investitionstopf (der vermutlich aus umgeschichteten, existierenden Mittel gespeist werden wird, und daher keinen zusätzlichen Impuls setzt).
Symmetrische Anpassung bedeutet, dass die deutschen Löhne und Preise relativ zum Rest der Eurozone steigen müssen, damit mehr Nachfrage in Deutschland entsteht, und der Süden zum Exportweltmeister aufschließen kann. Die Ungleichgewichte ausschließlich deflationär zu lösen, d.h. über sinkende Löhne und Preise in Südeuropa, ist ökonomisch fragwürdig und politisch für das europäische Projekt sehr teuer. Selbst der IWF ruft Deutschland mittlerweile unverblümt zu Lohnerhöhungen auf. Doch auch hier wird in Deutschland die Machtlosigkeit der Politik vorgeschoben – ganz so als beschäftige der Staat niemanden (in Wahrheit zahlt er ca. 4,6 Millionen Menschen direkt ihr Gehalt) oder als würden Lohnverhandlungen im politisch und institutionell luftleeren Raum stattfinden. Am ehesten wird Deutschland bereit sein, zwischen Rhein und Oder mehr zu investieren, aber das geschieht nur schleppend.
Die Rolle der EZB
Doch es gibt eine Akteurin in Europa, die viel erreichen könnte und gegen deutschen Druck immun ist – wenn sie denn will: die Europäische Zentralbank (EZB). Während der Eurokrise hat die EZB meist viel zu spät reagiert, ihre Politik 2011 sogar kurzzeitig gestrafft und danach den dringend benötigten geldpolitischen Stimulus nur sehr zögerlich gewährt. Dadurch drückte sie die Nachfrage in der Eurozone weiter, die Inflation sank 2014 in Richtung 0%, und erholt sich seither nur sehr langsam.
Inzwischen hat die EZB ihre Fehler korrigiert. Sie legte ein aggressives Ankaufprogramm von öffentlichen und privaten Anleihen auf und führte Negativzinsen ein, um Kreditwachstum und -nachfrage zu stimulieren. Die EZB hätte sicherlich noch mehr tun können, und die Unterstützung der Fiskalpolitik in Ländern wie Deutschland hätte größer sein müssen. Aber die Programme haben die gegenwärtige Erholung der Eurozone unterstützt und verbessern die Aussicht, dass in Europa irgendwann wieder höhere Zinsen gezahlt werden können.
Wenn Macron Erfolg haben soll, muss die EZB ihre aggressive Geldpolitik beibehalten und dem öffentlichen Druck aus Deutschland und anderen nordeuropäischen Eurostaaten widerstehen, ihre Politik zu früh zu straffen. Insofern war es ein sehr ermutigendes Zeichen, dass die EZB auf ihrer heutigen Sitzung erneut darauf verzichtet hat, eine baldige Straffung ihrer Geldpolitik in Aussicht zu stellen. Die Zentralbank sollte künftig sogar noch aggressiver kommunizieren, dass sie bereit ist, die Inflation über ihr 2%-Ziel hinausschießen zu lassen, um die gegenwärtig zu niedrige Inflation zu kompensieren. Dadurch würde sie die Erwartungen weiter verankern, dass sie eine volle Erholung der Wirtschaft erlaubt, bevor sie ihre Politik zurückfährt, und damit den Aufschwung weiter stützen.
Denn für eine Straffung der Geldpolitik ist es viel zu früh: die Kerninflation liegt bei nur 1%, die Wirtschaft der Eurozone ist weiterhin unterausgelastet und beim Lohnwachstum ist nur Deutschland beim Durchschnittsziel angekommen. Vor allem wird Macron in Sachen symmetrischer Anpassung (deutsche Löhne müssten über der Zielmarke liegen) und einer expansiveren Fiskalpolitik in Deutschland wenig erreichen können.
Das heißt: Die EZB muss (mal wieder) in die Bresche springen und die Wirtschaft antreiben – auch und gerade in Deutschland, das so noch näher an Vollbeschäftigung herankommen würde, was die Löhne nach oben drücken und die Importnachfrage aus Deutschland steigern sollte. Da Berlin wenig unternehmen wird, um Macron zu helfen, liegt ein Schlüssel für seinen Erfolg bei der EZB.
Christian Odendahl is chief economist at the Centre for European Reform.