Gebt Syriza eine Chance!
Welche Reformen Griechenland wirklich braucht und warum (Tot-) Sparen nicht hilft
Syriza ist die Anti-Systempartei
Die mächtige Bürokratie, gut organisierte Lobbys, weit verbreitete Korruption, die organisierte Steuervermeidung und das langsame Justizsystem: All das ist Teil des problematischen griechischen Systems.
Bisherige Regierungen waren in diesem System tief verwurzelt, und daher eher der sprichwörtliche Bock, der zum Gärtner wurde – und keine glaubwürdigen Reformer.
Syriza hat mit diesem System wenig zu tun. Sie hat daher die besten Chancen, das System zu reformieren. Eine Garantie ist das natürlich nicht, denn die griechische Vetternwirtschaft hat schon vieles überstanden.
Klassische Strukturreformen erst an zweiter Stelle
Die meisten Ökonomen denken bei Strukturreformen an Arbeitsmarktreformen oder andere klassische Strukturreformen wie die Lockerung von Öffnungszeiten. Das liegt daran, dass diese Bereiche in vielen westlichen Ländern das Wachstum hemmen. Dass Griechenland den Mindestlohn erhöhen möchte, macht sie daher scheinbar zu Reformgegnern.
In Griechenland geht es aber erst an zweiter Stelle um klassische Strukturreformen.
Denn warum steigen griechische Exporte zum Beispiel trotz drastisch gefallener Löhne kaum? Das hat mehr mit Bürokratie, Steuererhöhungen für Energie und der Kreditklemme zu tun, als mit der oft beschworenen Wettbewerbsfähigkeit. Die wichtigsten Reformen in Griechenland sind daher andere.
Welche Reformen braucht Griechenland?
Griechenland muss ein moderner europäischer Staat werden, damit es wachsen kann.
Dazu muss der öffentliche Dienst von Vetternwirtschaft befreit und die Korruption massiv bekämpft werden. Das Justizsystem muss insbesondere Dispute über Landbesitz schneller klären, damit Investoren Rechtssicherheit haben.
Öffentliche Aufträge, inklusive denen im Gesundheitswesens, müssen transparent ausgeschrieben und abgewickelt werden. Geschlossene Berufe und Sektoren müssen für Konkurrenz geöffnet werden. Nicht zuletzt muss die Steuerverwaltung reformiert und gestärkt werden.
Die Liste von Regierungschef Alexis Tsipras enthält diese Reformen, und muss nun umgesetzt werden.
Warum Sparen allein nicht hilft
Der griechischen Regierung wäre es auch lieber, sie müssten nicht um zusätzliches Geld betteln. Allerdings sollten deutsche Steuerzahler vor allem die Rückzahlung der Schulden im Kopf haben. Nur wenn Griechenland wächst, wird es die volle Rückzahlung geben können.
Griechenland hat in den vergangenen fünf Jahren eine Radikal-Sparkur umgesetzt, wie sie es noch nie in einem westlichen Land in Friedenszeiten gegeben hat: Eine Konsolidierung in Höhe von 16 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP), was in Deutschland unfassbaren 467 Milliarden Euro entsprechen würde, die der Staat einsparen müsste – mehr als der gesamte Bundeshaushalt.
Es gibt keine Wirtschaft der Welt, die bei einer solchen Sparkur nicht zusammenbrechen würde. Eine zusammenbrechende Wirtschaft kann, trotz Sparkur, die Schulden immer weniger bedienen und zurückzahlen.
Wenn Syriza mit den Reformen ernst macht – zugegeben ein großes Wenn – verdient sie mehr als nur das Einverständnis Deutschlands. Es wäre auch im Interesse des deutschen Steuerzahlers, den Griechen mit zusätzlichen Finanzhilfen beizuspringen.
Denn der Reformkurs muss über Jahre, wenn nicht Jahrzehnte durchgehalten werden, wenn die Schulden zurückgezahlt werden sollen. Die Unterstützung der griechischen Bevölkerung ist dafür unabdingbar, und würde durch das Auffangen der sozialen Härten gestärkt. Die vorgelegte Reformliste ist ein guter Anfang. Nicht mehr. Aber eben auch nicht weniger.
Christian Odendahl ist Chefökonom des Londoner Centre for European Reform (CER).